Kann Elektromobilität noch barrierefrei werden?

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Die European Mobility Group (EMG) vereint die führenden europäischen Unternehmen für Fahrzeugumbau und -anpassung, die gemeinsam ein Ziel verfolgen: Unabhängige Mobilität für Menschen mit Behinderung.

In unserer letzten Pressemitteilung haben wir erläutert, dass viele mobilitätseingeschränkte Menschen von der Nutzung von Elektrofahrzeugen (E-Fahrzeuge) ausgeschlossen werden. Man könnte sagen, es ist wie ein vollkommener Sturm von unglücklichen Umständen, und keiner der Beteiligten kann dies allein lösen. Es gibt Lösungsmöglichkeiten, die allerdings nicht einfach umzusetzen sind. Hierfür sind Zusammenarbeit, Kompromisse und Problemlösungen auf höchster Unternehmens- und Regierungsebene erforderlich.

“Ein vollkommener Sturm…” – Wirklich?

Unser Klima ist in Gefahr und wir befinden uns mitten in einer Energiewende. Deshalb entscheiden sich viele dafür, keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zu nutzen. Leider wird vielen Fahrern und Passagieren mit Behinderung diese Wahl nicht gewährt. Es existieren nur wenige E-Fahrzeuge, die ihren Bedürfnissen gerecht werden.

Warum ist es so schwierig, ein erschwingliches E-Fahrzeug zu einem angemessenen Preis zu finden? Genau das ist der vollkommene Sturm:

  • Nur wenige Fahrzeugmodelle sind für eine Umrüstung geeignet
  • Die meisten E-Fahrzeuge sind teurer als ihre Pendants mit Verbrennungsmotor
  • Viele Umrüstungen werden von den Fahrzeugherstellern untersagt, weil sie Änderungen an der Elektronik des E-Fahrzeugs erfordern.
  • Viele Fahrzeugumbauten erfordern Bohrungen und Schnitte im Fahrzeugboden. Da diese Fahrzeuge aber mit Batterien und Elektronik vollgepackt sind, sind die Böden bohrfreie Zonen.

Die Hersteller können diese Umrüstungen nicht grundsätzlich verbieten, aber sie können die Werksgarantie aufheben, was ein starkes Druckmittel ist. Aufgrund dessen kann man die Hersteller von Elektrofahrzeugen jedoch nicht verurteilen. Sie schützen lediglich ihre hochentwickelte Elektronik.

Das war es also mit barrierefreien E-Fahrzeugen?

Einige Lösungen für E-Fahrzeuge sind bereits verfügbar, wie z. B. spezielle Sitze oder Handbedienungen. Allerdings sind Handbedienungen heutzutage nicht mehr mechanisch, so dass sie oft Änderungen an der Fahrzeugelektronik erfordern. Und wenn ein spezieller Sitz am Boden befestigt werden muss, befinden wir uns wieder in der bohrfreien Zone.

Wenn Hersteller und Umrüster sich allerdings zusammensetzen, können sie Positionen festlegen (oder planen), an denen das Bohren erlaubt ist. Die Umbauer müssen ihre Sitze möglicherweise an diese neuen Befestigungspunkte anpassen, was allerdings in Ordnung wäre. Natürlich ist dies nur ein Beispiel für eine mögliche Lösung. Aber diese Art von Zusammenarbeit und Kompromissbereitschaft ist genau das, was wir brauchen, um die Elektromobilität barrierefrei zu machen.

Campbell McKee, Präsident der EMG

Campbell ist seit neun Jahren Präsident der EMG und hat daher einen guten Einblick in die Probleme, mit denen Fahrer und Fahrgäste mit Behinderung bei der Umstellung auf Elektrofahrzeuge konfrontiert sind. Er hat auch fundierte Ideen für Lösungen und kann die Risiken einschätzen. Zeit für ein Gespräch mit Campbell:

„Ich sehe den fehlenden Kontakt zu den Fahrzeugerstellern als eines der größten Hindernisse für den Fortschritt. Unternehmen, die sich mit der Umrüstung von Fahrzeugen befassen, und Interessenvertreter von Menschen mit Behinderung müssen viel besser mit der Automobilindustrie vernetzt sein. Die Fahrzeughersteller konzentrieren sich derzeit auf die großen Herausforderungen, mit denen ihre Branche konfrontiert ist. Es ist also nachvollziehbar, dass Gruppen wie behinderte Menschen nicht ihre Priorität sind. Aber auch wenn dies verständlich ist, muss das Thema angesprochen werden.“

Wie könnte EMG eine bessere Kommunikation mit den Herstellern erreichen?

„Ich denke, die Antwort ist auf politischer Ebene zu finden. Ich bin der Meinung, dass sich die Europäische Kommission für barrierefreie E-Fahrzeuge einsetzen sollte. Die EU hat eine Gesetzgebung zur sozialen Gleichberechtigung. Wenn aber ihre technische Gesetzgebung für Fahrzeuge die Zukunft behinderter Menschen blockiert, ist das keine Diskriminierung? Die EU muss die Automobilindustrie anweisen, Fahrzeugumrüstungen zuzulassen. Dann können wir gemeinsam Lösungen finden, diese Ungleichheit zu verhindern.“

Welche anderen Beteiligten sollten neben den Fahrzeugherstellern in die Diskussionen einbezogen werden, und welche Fragen müssen behandelt werden?

„Um die Elektromobilität für Menschen mit Behinderung zugänglich zu machen, müssen Vertreter von mobilitätseingeschränkten Menschen, Unternehmen, die Autos umrüsten, nationale Regierungen, Stadtplaner, Hersteller von Ladestationen und Gesetzgeber an den Diskussionen teilnehmen. Und sie sollten über die technischen Vorschriften für Autos hinausgehen. Wie wir wissen, muss der größte Teil der europäischen Elektroinfrastruktur noch gebaut werden. Daher ist es entscheidend, dass die EU-Vorschriften beispielsweise sicherstellen, dass öffentliche Ladestationen barrierefrei werden, und zwar bald.“

Können Sie einige Beispiele für Kompromisse und Kooperationen nennen, die diesem Ziel zugutekommen könnten?

„Ein wichtiger Schritt ist, dass die Fahrzeughersteller den Unternehmen, die Fahrzeuge umrüsten, eine Schnittstelle zur Elektronik des Fahrzeugs bereitstellen. Wir benötigen eine Schnittstelle, über die sich Umrüstungsfirmen in das elektronische System des Fahrzeugs einklinken können, ohne die Hauptfunktionen des Fahrzeugs zu beeinträchtigen.

 Außerdem glaube ich, dass wir mehr technische Zusammenarbeit innerhalb der EMG brauchen. Natürlich kann ich das nicht anordnen, und einen solchen Austausch hat es ohnehin immer gegeben. Aber jetzt ist er noch wichtiger. Der kollektive Wissensschatz der EMG wird gebraucht. Wenn Firma A eine sehr gute Servolenkung herstellt und Firma B eine hervorragende Handsteuerung, dann sollten sie die Produkte der jeweils anderen gegen eine Gebühr nutzen und ihren Kunden die besten Lösungen anbieten.“

Campbell, Sie werden im Oktober 2022 in den Ruhestand gehen. Was würden Sie sich von Ihrem Nachfolger wünschen?

„Ich kenne mich selbst, und ich kenne meine Grenzen. Ich glaube, dass wir in der jetzigen Situation einen Botschafter brauchen, jemanden, der weiß, wie man mit Regierungen und der Automobilindustrie umgeht. Schauen Sie sich zum Beispiel die höheren Preise für E-Fahrzeuge und die vielen Umrüstungen an. Die Politiker fördern die Nutzung von E-Fahrzeugen mit Steuervorteilen, Subventionen, ausgewiesenen Parkplätzen usw. Ich bin der Meinung, dass ähnliche Anreize auch für Umrüstungen geschaffen werden sollten. Kurzum, wir brauchen jemanden, der Einfluss auf Entscheidungsträger nehmen kann und sich durch den strategischen Aufbau von Beziehungen auszeichnet.“

Mit welcher Leistung sind Sie am glücklichsten? Und was wollen Sie noch erreichen, bevor Sie gehen?

„Ich freue mich, dass sich die besten Unternehmen Europas der EMG angeschlossen haben, die alle die internationale Qualitätsmanagementnorm ISO erfüllen. Mir gefällt auch, wie sich die EMG von einem Wirtschaftsverband zu einer Stimme der Menschen mit Behinderung entwickelt hat. Wir haben das meiste von dem erreicht, was wir uns vorgenommen haben, aber bald muss die EMG ihre Stimme bis zur Europäischen Kommission tragen. Und ich bin zuversichtlich, dass mein Nachfolger die EMG zu diesem nächsten Schritt führen wird.“

 EMG

info@mobilitygroup.eu
www.mobilitygroup.eu

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